Die heilende Kraft der Berührung: Warum wir sie brauchen und doch fürchten

Ich erinnere mich noch lebhaft an meinen ersten Tantra-Workshop in Berlin. Etwa 30 Teilnehmer, Fremde, Menschen, die ich noch nie zuvor getroffen hatte. Frauen und Männer. Menschen, zu denen ich mich hingezogen fühlte, und andere, denen ich aus dem Weg gehen wollte. Und ich wusste, dass es beim Tantra um Berührung geht. Ich spürte in mir den Wunsch, mich mit Menschen körperlich zu verbinden. Ich schaute auf diese Gruppe und wurde von allen möglichen Gedanken und Gefühlen überwältigt. Sie dort lächelte mich an. Die andere schaute weg. Was, wenn ich mit ihr in eine Begegnung gehen sollte? Und was war mit all den Männern? Ich hatte noch nie Männer berührt, außer beim Sport und beim Kämpfen. Mit beidem hatte ich so gut wie keine Erfahrung. Die Angst, einen Mann zu berühren, von einem Mann berührt zu werden. Die Angst, eine Frau zu berühren und zurückgewiesen zu werden. Es trotzdem zu versuchen und erstaunt zu sein über die Wirkung, über die Tiefe, über die Verbindung mit einer fremden Person, die doch fast so ist wie ich. Ich habe berührt und wurde berührt. Auf sehr viele verschiedene Arten, mit sehr unterschiedlichen Gefühlen. Während eines einzigen Workshops eröffnete sich mir eine ganze Welt.

Warum fällt uns Berührung so schwer, wo wir sie doch so sehr brauchen?

Berührung ist eine der ältesten und stärksten Formen der menschlichen Kommunikation. Sie ist wie ein stiller Dialog ohne Worte, der Vertrauen, Sicherheit und Verbindung schafft.

Berührung ist ein kraftvolles Mittel für Wohlbefinden und Gesundheit, das zahlreiche Vorteile bietet: Sie reduziert Stress und Angst durch die Freisetzung von Oxytocin, stärkt das Immunsystem, lindert Schmerzen und fördert die Herzgesundheit durch die Senkung von Blutdruck und Herzfrequenz. Zudem verbessert Berührung den Schlaf, indem sie die Produktion von Serotonin und Melatonin anregt, und unterstützt die Verdauung durch die Stimulation des Vagusnervs. Darüber hinaus stärkt sie emotionale Bindungen, schafft Vertrauen und vermittelt ein Gefühl von Zugehörigkeit, was zur emotionalen und sozialen Gesundheit beiträgt. Insgesamt kann regelmäßige Berührung die Lebensqualität erheblich steigern.

Aber warum fällt es uns oft so schwer, Berührung zuzulassen oder zu geben, obwohl wir uns tief im Inneren danach sehnen? Die Antwort auf diese Frage ist komplex und hängt von vielen Faktoren ab. Kulturelle Normen, persönliche Erfahrungen und emotionale Verletzungen spielen eine große Rolle, ebenso wie die Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Die Angst vor Berührung: ein universelles Phänomen

Viele Menschen fühlen sich unsicher oder sogar ängstlich, wenn es um Berührung geht. Diese Angst kann verschiedene Ursachen haben: soziale Konditionierung, negative Erfahrungen oder die Angst vor Ablehnung und Missverständnissen. In unserer westlichen Kultur wird Berührung oft sexualisiert oder zum Tabu erklärt, was die Schwelle erhöht. In der Generation meiner Eltern hatte man mit Berührungen eigentlich gar nichts am Hut. Es gab den gelegentlichen Händedruck, einen kleinen Kuss auf die Wange, der in die Luft gedrückt wurde. Aber eine Umarmung oder ein Kuss, Hand in Hand spazieren gehen, aneinandergekuschelt auf dem Sofa vor dem Fernseher sitzen, das war alles nicht drin. Viele meiner Altersgenossen haben es so erlebt. Dieser kulturelle Rahmen sorgte dafür, dass wir uns immer weiter von der heilenden Kraft der Berührung entfernten.

Männer umarmen sich beim Fußball

In unserer Gesellschaft fühlen sich Männer beim Sport oft viel freier, andere Männer zu berühren als in anderen Situationen. Wenn zwei Männer wie auf diesem Bild Arm in Arm durch die Stadt laufen würden, würde das mit Sicherheit als homosexuell angesehen werden.

Unterschiede zwischen Männern und Frauen

Männer und Berührung: das Diktat der Stärke

Für Männer kann Berührung eine besondere Herausforderung sein, denn traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit betonen oft Härte, emotionale Zurückhaltung und Autonomie. Vielen Männern wurde beigebracht, dass Berührung – vor allem mit anderen Männern – ein Zeichen von Schwäche oder Verletzlichkeit ist. Diese Konditionierung führt dazu, dass sie Berührungen vermeiden, die nicht offensichtlich sexuell oder aggressiv sind. Berührungen unter Männern, die nicht im Sport stattfinden, werden außerdem oft sexualisiert und mit Homosexualität in Verbindung gebracht.

Untersuchungen von Dr. Uday Dokras (Sexology of Tantra) zeigen, dass Männer häufiger als Frauen einen „Berührungsmangel“ erleben, der zu Gefühlen der Isolation und Einsamkeit führen kann.

Frauen und Berührung: zwischen Bedürfnis und Schutz

Für Frauen ist Berührung oft mit einer Doppelmoral behaftet. Einerseits wird von ihnen erwartet, dass sie emotional und berührungsfreundlich sind, andererseits müssen sie in vielen Kulturen ständig die Grenze zwischen erwünschter und unerwünschter Berührung wahren. Vielen Frauen wurde beigebracht, vorsichtig zu sein, weil Berührungen auch bedrohlich sein können, zum Beispiel im Zusammenhang mit Belästigung oder Gewalt. Diese Zweideutigkeit bedeutet, dass Frauen oft zwischen dem Bedürfnis nach Nähe und dem Wunsch nach Selbstschutz hin- und hergerissen sind.

Die heilende Kraft der bewussten Berührung

Ich hatte das Privileg zu erleben, wie Berührung in der tantrischen Philosophie als ein kraftvoller Weg zur Verbindung und Heilung gesehen wird. Das gilt vor allem für die spezifischen Zusammenhänge von Berührung bei Männern und Frauen. Berührung zuzulassen ist eine heilende Erfahrung, bei der du viele Beschränkungen loslassen und dich körperlich freier fühlen kannst. Dabei geht es darum, Berührung als eine bewusste, achtsame Praxis zu verstehen, die weit über den rein körperlichen Kontakt hinausgeht. Berührung kann helfen, tief verborgene emotionale Blockaden aufzulösen und uns wieder mit unserem inneren Selbst und anderen zu verbinden. Für Männer und Frauen bedeutet das, alte Konditionierungen loszulassen und einen neuen Umgang mit Berührung zu finden – einen, der auf Respekt, Aufmerksamkeit und authentischer Kommunikation beruht.

 Praktische Tipps für eine gesunde Kultur der Berührung

  • Schaffe Bewusstsein: Werde dir deiner eigenen Vorurteile und Ängste bewusst. Welche Überzeugungen und Erfahrungen beeinflussen deine Haltung gegenüber Berührung?
  • Übe bewusste Berührung: Beginne mit einfachen, bewussten Berührungen in einer sicheren Umgebung. Massagen oder Partner-Yoga können wunderbare Möglichkeiten sein, Berührung neu zu erleben.
  • Verbessere die Kommunikation: Sprich offen über deine Bedürfnisse und Grenzen. Das schafft Vertrauen und beugt Missverständnissen vor.
  • Berührung als Meditation: Nimm dir Zeit, um Berührung bewusst zu erleben. Sei präsent und spüre die Energie, die durch Berührung fließt.

Letzter Gedanke

Für mich ist Berührung nicht nur ein körperlicher Akt, sondern eine spirituelle Erfahrung, die uns uns selbst und anderen näher bringen kann. Es liegt an uns, die Mauern aus Angst und Scham zu durchbrechen und uns wieder für die heilende Kraft der Berührung zu öffnen.


Intensivseminar Tantra und Berührung

18.-20. Oktober in Hellenthal – 320 €  (Frühbucher-Tarif bis 16. September: 295 €)

Mit diesem Workshop bieten wir dir einen sicheren Rahmen, in dem der Respekt vor Grenzen im Mittelpunkt steht. Es betont die Kommunikation, das Einverständnis und das Erforschen dessen, was sich für beide Parteien angenehm und wohl anfühlt. Durch diese Betonung des gegenseitigen Respekts und der Achtsamkeit hilft dir Tantra, deine eigenen Grenzen und Bedürfnisse zu kennen und mitzuteilen, während du gleichzeitig offen für die heilende Kraft der Berührung bist. So kannst du entspannter und selbstbewusster körperliche Verbindungen eingehen und hast weniger Angst oder Scham.

In diesem Workshop lernst du, dass Berührung eine heilige und wertvolle Art der Verbindung ist, sowohl mit dir selbst als auch mit anderen, und so dazu beitragen kann, körperliche Intimität und Verbindung in deinem Leben und in einem breiteren Kontext auch in unserer Gesellschaft wiederherzustellen. Und daran mangelt es gerade jetzt sehr.

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